Meine Frage an die Klasse: "Wenn ich einen Kameltreiber daran hindere, sein Kamel zu schlagen und zu verfluchen, weil es nicht gehorcht, wie würdet ihr mein Verhalten erklären?" Antwort: "Sie machen das aus Bruderliebe".
Ich schrieb dieses Märchen im Jahre 1994 für eine der vielen Klassen, die ich während meiner Zeit als Grundschullehrer in Oedt unterrichtet habe. In dieser Geschichte sind manche Eigenheiten, Verhaltensmuster, Vorlieben und „Begabungen“ meiner damaligen Kinder verwoben, so dass sie sich wohl auch heute noch beim Lesen in ihr wiedererkennen werden. Darüber hinaus ging es mir darum, die für mich stets grundlegenden Erziehungsmerkmale anklingen zu lassen, die ich mit den Begriffen „Hilfsbereitschaft“, „Toleranz“, „Mitmenschlichkeit“, „Achtung des Anderen“, „Fähigkeit zum Zuhören“, „Mitgefühl“ und „Einsatzbereitschaft“ verbinde. Heute nennt man das unter anderem „Klug mit seinen Gefühlen umgehen“ („Emotionale Intelligenz“). Es geht um die Wiedervereinigung von Herz und Verstand.
Die Sterntaler der Klasse 3b
vor 30 Jahren
Es war einmal eine Schulklasse. Sie bestand aus 24 Kindern eines dritten Schuljahres, darunter 13 Mädchen einschließlich eines Zwillingspärchens (Elena und Franziska). Der Rest nannte sich "die Jungen" oder einfach "Jungs", obwohl sie im Durchschnitt nicht jünger waren als die Mädchen. Alle Kinder waren nämlich jung und frisch, so um die neun Jahre alt.
Die Klasse nannte sich "Die Drei Beh"! Nicht zu verwechseln mit der "Drei Ah"! Die Klasse 3 b hatte auch einen Klassenlehrer, den Herrn Hoffmann, der aber nichts mit dem Liedermacher Klaus Wilhelm Hoffmann zu tun hatte. Der "Hoffi", wie einige ihn manchmal nannten, der Klassenlehrer, besaß keinen zweiten Vornamen und hieß einfach Klaus. Er wurde im 2. Weltkrieg geboren. Sein Vater war in diesem Krieg. Seine Mutter hatte kein Geld für einen zweiten Vornamen, scherzte er. Den hatte er sich später selber zugelegt: „Erwin“!
Eines Tages fragte der Lehrer die 3 b: "Möchtet ihr mal einen „totalen“ Ausflug machen?" Alle schrien: "Ja!" Wisst ihr denn überhaupt, was ein „totaler“ Ausflug ist?" "Nöö!" "Das sieht euch ähnlich: "Ja" schreien, aber nicht wissen, warum."
"Bei einem totalen Ausflug hat jeder von euch mindestens ein Erlebnis, das er sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. Bei diesem Ausflug werden wir natürlich nicht fliegen. Wir sind ja keine Vögel oder Flugsaurier. Wir werden nur unsere Beine und Füße benötigen um auszufliegen. Wer von euch will denn ausfliegen? Eins, zwei, drei, vier,...., hmm, also alle. Ihr wollt wissen, wohin es geht? Das verrate ich nicht. Hier, habt Geduld, ich verteile diesen Elternbrief. Darin steht alles, was eure Eltern wissen müssen. Lies vor! Julia."
"Liebe Eltern! Ihre Kinder machen morgen den totalen Ausflug. Ist das nicht cool? Wir gehen um 8.30 Uhr von der Schule aus los. Bitte an geeignetes Schuhwerk denken! Ihre Kinder benötigen keinen Tornister, stattdessen jedoch einen Rucksack mit viel Marschverpflegung. Wir sind zurück, wenn über Oedt und Mülhausen der Regen einsetzt. Spannen Sie also morgen einen Regenschirm auf. Wenn es zu klopfen beginnt, treffen wir in der Schule ein. Natürlich fährt dann auch der Schulbus. Viele Grüße, Unterschrift."
"Herr Hoffmann, darf ich morgen mein Knusperhäuschen mitnehmen?" fragte Heiko. "Natürlich, Heiko, aber lass die Hexe zu Hause!" "Herr Hoffmann, darf ich morgen meinen Stoffelefanten mitbringen?" fragte noch jemand, aber im Lärm ging alles unter. "Kinder, seid doch mal leise!" mahnte der Klassenlehrer. "Ich muss euch noch etwas Wichtiges sagen. Hört zu! Für den Ausflug morgen müsst ihr total ausgeschlafen sein. Also geht heute Abend total früh zu Bett und schlaft total gut. Ihr werdet eure Kräfte morgen dringend benötigen, denn wer weiß, wann der Regen über Oedt und Mülhausen einsetzt? Macht euch auf einen langen Ausflug gefasst. Packt euren Rucksack mit Überlegung. Eure Eltern werden euch dabei helfen, aber ihr seid gefragt, denkt an alles!"
Die Kinder wurden plötzlich unruhig und besprachen miteinander, an was denn wohl alles zu denken sei für einen Ausflug, der mit einsetzendem Regen zu Ende wäre. Und was wäre, wenn es wochenlang nicht regnen würde? Cool! Von wegen! Dann käme kein Schulbus, und die Eltern würden ihre Regenschirme aufspannen und auf das Klopfen der Wassertropfen vergeblich warten, und damit auch auf ihre Kinder - total vergeblich!
Einige Kinder fanden das aufregend, andere schauten eher etwas ängstlich drein. Na ja, alle Ausflüge waren bisher gut verlaufen, selbst die hartnäckigsten Kritiker hatten hinterher noch ein nettes Wort, den Ausflug betreffend. Doch morgen sollte der "totale" Ausflug stattfinden. Man merkte die Spannung in den Gesichtern. Würde sich etwas Besonderes, etwas Außergewöhnliches ereignen? So gingen alle Kinder der 3 b vergnügt und voller Erwartungen nach Hause. Hoffentlich würde es morgen früh nicht regnen, denn dann wäre der Ausflug bereits zu Ende, ehe er begonnen hätte. Dann würde der Schulbus - an der Schule angekommen - die 3 b gleich wieder nach Hause bringen. Deshalb verfolgten alle Kinder am Abend den Wetterbericht sehr genau. Es wurde vorhergesagt, dass das Wetter bis in die Abendstunden des kommenden Tages noch trocken bliebe und dass in der Nacht gebietsweise Nebel zu erwarten sei. Diese gute Nachricht führte dazu, dass die meisten Kinder gut einschliefen und bald in tiefe Träume versanken.
Julia träumte von ihrem Hund. Er trug ihren Rucksack während des gesamten Ausflugs auf seinem Rücken. Stephanie ritt auf ihrem Füller durch das Vogelparadies wie auf einer riesengroßen Zigarre. Sara flog auf ihrem Schreibheft dahin. Es hatte sich in ein Segelflugzeug verwandelt. Vanessa träumte, ein liebenswerter Dinosaurier hätte sie ausgespuckt. So landete sie in hohem Bogen in den Brennnesseln. Die zweite Julia hatte in ihrem Traum 35 Kaninchen unter beiden Armen und rief immerzu: "Nehmt mich mit! Hilft mir denn keiner!" Tanja träumte von einem großen Lautsprecher einer Stereoanlage. Sie schrie so laut in das Mikrofon, dass der Lautsprecher explodierte. Elena rief im Traum ständig: "Oma, Oma, dir fehlt ein Schwein im Stall!" Und Franziska lachte und lachte. Nach einiger Zeit sagte sie: "Jetzt will ich nicht mehr lachen", und - weinte.
Was man in Träumen doch so alles erleben kann. Johanna konnte sich im Traum selber sehen, jedoch als Baby. Und das Baby Johanna schrie: "Hurrah, ich kann lesen!" Auch die andere Tanja hatte einen ähnlichen Traum wie Johanna. Auch sie sah sich als Kleinkind in den Armen ihrer Mutter und rief: "Ich kann malen. Ich kann malen!" Daniela träumte von ihrem Rucksack, der prall gefüllt war mit blauer Tinte. Dabei rief sie immer lauter: "Meine Patrone ist leer, Tinte her! Tinte her!" Bahar sah im Traum einen riesengroßen Kaugummi. Der roch total stark nach Himbeeren. In der Ecke stand ein grauer Abfalleimer, in den sie den Kaugummi in hohem Bogen hineinspuckte. Katharina sprach laut im Schlaf: "Nein, lass das. Hör endlich auf, du Nashornziege!"
Auch die Jungen hatten in der Nacht ihre Träume. Kai sagte im Traum zu Stefan: "Guck mal, ich kann im Sitzen liegen!" Da knallte der Stuhl plötzlich auf die Erde und Kai schrie: "Mama, komm mal, was war das für ein Krach?" Tim träumte von einer großen Wiese. Auf dieser tummelten sich Hunderte von Marienkäfern. Einer krabbelte Tim über die Nase und sprach: "Willst du ein paar Punkte von mir abhaben?" Stefan schrie laut auf: "Rechenblätter, Rechenblätter! Wo sind die Rechenblätter? Ich bin schon wieder fertig mit meinen Aufgaben." Da kam seine Mama und fütterte ihn mit Blätterteig. Marco hatte auch einen Traum: Eine Maus knabberte an seinem Schreibheft und Marco sprach zu ihr: "Nein, nicht! Kannst du nicht schreiben? Dann diktier' ich dir was." Die Maus sah Marco verdutzt an und piepste: "Dein Heft schmeckt lecker, besonders dort, wo du etwas aufgeschrieben hast." Oliver sah in seinem Traum einen Rucksack, der wie ein Fußball aussah. Er schoss damit einen Elfmeter und elf Flaschen Limonade gingen kaputt. Sie waren im Rucksack versteckt gewesen. Dennis schlief sehr unruhig. Er wurde zu einem winzig kleinen Männlein, das auf einer Computertastatur von Taste zu Taste hüpfte. Schließlich sprang es in einen Monitor hinein, erschien auf dem Bildschirm und rief: "Sie hören die Tagesthemen!" Dann rief Dennis' Oma: "Dennis, runterkommen, bevor die Treppe abgeholt wird!" Der zweite Dennis träumte von einem Tintenkiller. Dieser besaß Arme und Beine und konnte sehr schnell laufen. Er holte Dennis immer wieder ein, während dieser rief: "Lass mich in Ruhe, ich bin doch ein Füller und will mit dir nichts zu tun haben. Such dir einen anderen Freund!" Heiko träumte von einer großen Torte. In ihr waren verschiedene Gänge. Diese musste Heiko als Polizist kontrollieren. So lief er hin und her, auf und ab, und jedes Mal, wenn er jemanden traf, zum Beispiel einen Käfer oder sogar den Maulwurf, schrie er: "Hau ab, das ist meine Torte!" Simon träumte vom Atlantischen Ozean. Dort schwamm ein großes Zelt mitten auf dem Wasser, und Leute schauten heraus und riefen Simon zu: "Schwimm rüber, komm her, du hast sicher noch nie ein solch schwankendes Zelt erlebt! Das ist cool! Komm doch!" Rickys Traum betraf natürlich das Fußballspielen. Ricky war doch tatsächlich im Ball drin und sagte ihm, was er zu tun hätte. Auf diese Weise hatte er zum Beispiel Borussia Dortmund zum Sieg verholfen. Nach dem Spiel war Ricky zwar etwas schwindelig und fand auch zunächst nicht die Tür, um aus dem Ball wieder heraus nach draußen zu kommen.
Der letzte Träumer der Nacht vor dem Ausflug war Dominik. Er hatte eigentlich gar keinen eigenen Traum. Deshalb wurde er wach und rief: "Warum träume ich nicht wie alle anderen Kinder dieser Klasse?" Kaum gesagt, schlief er wieder ein und träumte. Er sah alle Kinder der 3 b mit all ihren Träumen. Ja, das war sein Traum. So verging die Nacht und draußen kroch der Nebel vom Boden aus immer höher. Regen würde es vorläufig nicht geben.
Am nächsten Morgen wachten alle Kinder der Klasse fröhlich auf. Sie hatten auch allen Grund dazu, denn ihr Ausflug würde stattfinden. Wenn auch die Landschaft ganz in Nebel getaucht war, so konnte man unschwer erkennen, dass darüber bereits die Sonne schien, so hell war der Himmel, und das bereits am frühen Morgen. Kein Regen und gute Laune - das passte zusammen!
Die Kinder erzählten ihren Eltern noch vor dem Frühstück, dass sie in der vergangenen Nacht geträumt hätten. Aber niemand konnte sich an Einzelheiten erinnern. Julia umarmte ihren Hund und sagte: "Du kamst in meinem Traum vor, aber was du gemacht hast, habe ich vergessen." Stephanie taten die Beine weh, als hätte sie nicht im Bett gelegen, sondern eine Nacht auf dem Reithof bei Ilana verbracht. Tanja berichtete von einem fürchterlichen Knall, den sie im Traum wahrgenommen hätte. Elena sprach zu ihrer Mutter: "Ich habe, glaube ich, von Oma geträumt. Jemand hat immer gesagt: “Da hast du aber Schwein gehabt." Der anderen Julia schmerzten die Arme, als hätte sie etwas Schweres getragen, und ihre Mutter rief: "Seit wann stehst du am frühen Morgen mit krummen Armen und Beinen vor mir?" Vanessa beschwerte sich mehrmals über ein Jucken und Brennen an den Beinen. Franziska musste immer lachen, wenn ihr Vater ein Stück Würfelzucker in die Kaffeetasse fallen ließ. Sie stellte sich nämlich dabei vor, das Stückchen Zucker spränge vom Fünfmeterbrett und würde dabei rufen: "Leider kann ich gar nicht schwimmen und kalt ist mir auch nicht!" Johanna kroch während des Frühstücks mehrmals über den Teppich. Sie musste natürlich wieder lesen. Diesmal waren es die vielen Brotkrumen, die sie vom Boden auflas. Die zweite Tanja goss sich Milch in den Kakao, und zwar Vanillemilch. Diese malte weiße Phantasiebilder in die braune Flüssigkeit und Tanja hätte sie am liebsten gleich abgemalt. Daniela fragte ihre Mutter: "Ist mein Rucksack eigentlich blau?" "Wie kommst du denn darauf?" erwiderte ihre Mutter, "den Rucksack hast du schon über ein Jahr, er ist doch gelb!" Bahar hatte am Frühstückstisch unwiderstehlichen Appetit auf Kaugummi. Aber den gab es jetzt natürlich noch nicht. Ihre Mutter fragte verwundert: "Wieso kaust du heute morgen so lange auf deinem Brötchen herum, als ob es aus Gummi wäre?" Katharina erzählte, sie hätte von einem kleinen Nashorn geträumt, das so gerne Ziegenmilch trank, dass es bald zu Ziegenkäse wurde und sich kaum noch bewegen konnte. So hätten die Leute im Zoo immer gerufen: "Nashorn - Trockenhorn - Ziegenmilch, nochmals von vorn: Nashorn, Trockenhorn - Ziegenmilch, nochmals von vorn... !“
Aber auch die Jungen erinnerten sich daran, dass sie etwas geträumt hatten, bekamen den Sinn aber ebenso wenig heraus wie die Mädchen. Kai meinte, er hätte im Traum einen komischen Stuhl gesehen, auf dem ein Text eingeritzt war. Er lautete: "Wer auf mir sitzt, von dannen flitzt!" Tim wunderte sich über die vielen Punkte auf seiner Nase, die zum Glück mit Seife und Waschlappen zu entfernen waren. Stefan beschwerte sich über das Frühstück. Ohne Blätterteig heute morgen? "Es gab doch sonst immer Blätterteig!" schrie er, und seine Mutter sah ihn entsetzt an! Marco wollte gerade seine Schokoladencreme aufs Brot streichen, als er plötzlich aufsprang, in die Arme seiner Mutter hüpfte und schrie: "Eine Maus!" "Spinnst du vielleicht?" entgegnete Marcos Mutter. "Wir haben hier keine Mäuse und erst recht nicht beim Frühstück!" Als Oliver aus dem Badezimmer kam, fragte er: "Darf ich mir etwas wünschen?" Sein Vater antwortete verwundert: "Wie, am frühen Morgen schon ein Wunsch? Da musst du ja schon hellwach sein! Was möchtest du denn?" "Ich hätte gern einen Rucksack, einen ganz neuen mit einem großen Foto von einem Fußball darauf!" "Eigenartiger Wunsch“, meinte Olivers Mutter. Dennis untersuchte gleich nach dem Aufstehen, ob die Treppe noch vorhanden war, die in sein Computerzimmer führte. Sein Namensvetter, also der andere Dennis, drehte sich auf seinem Stuhl ständig nach hinten um, weil er glaubte, es stünde jemand hinter ihm. Während Heiko im Kühlschrank nach Torte suchte, sagte Simon zu seinem Bruder: "Mir ist heute früh so schwindelig, aber ich fühle mich prima dabei!" Auch Ricky hatte ähnliche Probleme mit seinem aufrechten Gang und sprach zu seiner Mutter: "In der vergangenen Nacht war es so dunkel, dass ich selbst im Traum meine Hand nicht vor Augen sah."
Dominik saß ganz ruhig am Tisch und bemerkte: "Ich habe in der vergangenen Nacht alle meine Mitschüler und Mitschülerinnen der Klasse 3 b gesehen, und die haben mir im Schlaf all ihre Träume erzählt. Wenn die wüssten, dass ich nun weiß, was sie alle geträumt haben! Aber ich kann schweigen! Traumgeheimnis! Auf dem Weg zur Schule gehe ich nochmals alle Träume in meinen Gedanken durch, damit ich nur ja keinen vergesse." Seine Mutter sah ihn verwundert an und sagte: "Wenn du dich nicht wohl fühlst, dann verzichte doch lieber auf den Ausflug, sonst verdirbst du hinterher den Kindern noch den Spaß, wenn sie einen Kranken mitschleppen müssen."
Ja, das war eine Traumnacht! Aber außer Dominik wusste keiner, was sich im Traum nun wirklich ereignet hatte. Auch Sara, die an jenem Morgen als letzte aus den Bettfedern kroch, konnte sich nur so ausdrücken: "Ich glaube, ich bin irgendwie geflogen. Aber ich weiß nicht mehr, womit und wohin." "Hoffentlich fliegst du heute während deines Ausflugs nicht hin“, meinte ihre Mutter. "Wohin wandert ihr überhaupt?" wollte sie noch wissen.
"Wir wandern durch das Vogelparadies, biegen aber nicht nach rechts zum Pferdehof ab, sondern gehen immer geradeaus weiter. Dort soll nach ein paar hundert Metern der Zauberwald beginnen, den Herr Hoffmann uns zeigen möchte“, antwortete Sara. "Zauberwald? Noch nie gehört, höchstens im Märchen. Na ja, Hauptsache, ihr seid alle wohlbehalten zurück, wenn über Oedt und Mülhausen der Regen einsetzt“, meinte Saras Mutter.
Die Kinder konnten es nun kaum noch erwarten, endlich mit ihren prall gefüllten Rucksäcken das elterliche Haus zu verlassen und, sei es zu Fuß, mit dem Schulbus oder mit dem Fahrrad, in Richtung Schule zu streben. Gegen acht Uhr kamen dort alle Kinder der 3 b an, und der Nebel war schon so dünn geworden, dass man den weiß leuchtenden Ball der Sonne mit bloßen Augen betrachten konnte, ohne dass es weh tat. Nur der Mann, der einen "totalen" Ausflug versprochen hatte, fehlte noch und alle warteten auf ihn.
Den Morgennebel fanden einige Kinder toll. Man sah darin den weiß glühenden Feuerball der Sonne, aber so stark abgeschwächt, dass die Augen keinen Schaden nehmen konnten. Unter normalen Umständen durfte man so etwas natürlich nicht machen. Die Sonne würde dann sogleich die Augen verbrennen. So starrten immer mehr Kinder in die milchigweiße Sonnenscheibe, weil es einfach Spaß machte.
Doch auf einmal veränderte sich der helle Kreis am Himmel. Er bekam zunächst zwei Augen, dann einen Lachmund mit einem Oberlippenbart und zuletzt gesellte sich ein dunkler Kinnbart dazu. Einige Kinder schrieen: "Unser Lehrer, seht doch, dort oben am Himmel, unser Lehrer!" Auch die Kinder, die mit einer total verbeulten Getränkedose Fußball gespielt hatten oder auch die, die in einen Strauch geklettert waren, schauten jetzt zum Himmel empor. Einige ließen sogar ihre Fußballbilder fallen oder hörten mit Tischtennisspielen auf. Kinder anderer Klassen ließen sich hingegen nicht stören. Sie gingen ins Schulgebäude in ihre Klassenräume, als gäbe es draußen nichts zu beobachten. Ihre Blicke konnte man etwa so deuten: "Was die 3 b bloß mal wieder hat! Kaum haben die einen Rucksack angeschnallt, drehen sie durch. Lasst uns nur ja in Ruhe!" So kam es dazu, dass nur die 3 b geschlossen zum Himmel empor schaute, während alle anderen Kinder, die noch zur Schule kamen, vorbei gingen, als wäre da gar nichts, zumindest nichts Besonderes. Und die Kinder der Parallelklasse, der 3 a, riefen im Chor: "3 b, o weh! 3 b, o weh!" Doch die 3 b war so beschäftigt mit ihrer Entdeckung, dass sie sogar Rektor Zander, der an jenem Morgen auf dem Schulhof Aufsicht führte, erst gar nicht bemerkte. Erst als ein Kind mit ihm zusammenstieß, musste dieses sogleich etwas loswerden: "Herr Zander, dort oben im Nebel, schauen Sie mal! Die Sonnenscheibe hat das Gesicht von Hoffi. Schon die ganze Zeit! Wie kommt das?" "Ja, Kind!" erwiderte Herr Zander ruhig. Und plötzlich war die Sonnenscheibe mit ihrem Gesicht verschwunden. Stattdessen stand der Klassenlehrer mitten auf dem Schulhof. Die Kinder der 3 b umringten ihn und riefen verwundert: "Aber Sie waren doch noch gerade da oben am Himmel!" "Ich? Am Himmel?" "Ja, die Sonne hatte Ihr Gesicht!" Der Klassenlehrer tat erst ganz erstaunt und blickte ungläubig drein. Dann sagte er, als habe er plötzlich einen Einfall: "Ach so! Jetzt weiß ich, was ihr meint. Das liegt am Nebel. Ich fahre oft morgens zusammen mit der Sonne gemeinsam zur Schule, meist mit dem Fahrrad. Heute konntet ihr mich vor der Sonnenscheibe sehen, da der Nebel die Sonnenstrahlen stark abgeschwächt hat. Sonst seht ihr mich vor lauter Helligkeit nicht. Dann sollt ihr ja auch nicht in die Sonne schauen!"
Die Kinder wunderten sich wohl noch ein wenig, gaben aber dann Ruhe. Hoffi war ja für seine manchmal recht komischen Sprüche bekannt. Nur Kai bemerkte: "Eigentlich kann doch kein Mensch mit der Sonne zusammen losfahren. Die ist doch viel zu weit entfernt. 150 Millionen Kilometer! Außerdem "fährt" die Sonne nicht, sondern wird von der Erde umkreist, und das einmal in einem Jahr. Das mit Herrn Hoffmanns Gesicht in der Sonnenscheibe habt ihr euch nur eingebildet."
Nun musste sich der Klassenlehrer inmitten des Kreises, zu dem sich die Kinder zusammengefunden hatten, nochmals zu Wort melden. Er sprach: "Kinder, ihr habt alle recht. Auch Kai. Man sieht eigentlich nie, was wirklich ist, sondern was für einen selbst große Bedeutung hat. Das ist die "Wirklichkeit". Ihr werdet dies, wenn ihr mal älter seid, vielleicht besser verstehen. Aber ihr werdet immer Probleme damit haben, was wirklich ist. Freut euch, dass wir gleich unseren Ausflug in den Zauberwald beginnen. Seht, die Sonne ist schon wieder da! Ihre Scheibe wird immer heller und klarer. Ihr Licht braucht übrigens stets 8 Minuten, bis es unsere Erde erreicht. Da seht ihr wieder: Was heißt schon Wirklichkeit? Wenn ihr so wollt, ist das da oben schon Vergangenheit. Das wirkliche Licht der Sonne sehen wir erst nach acht Minuten! Soll man deshalb sagen, dass das Sonnenlicht nicht „wirklich“ ist?"
Nun lichtete sich der Nebel und kroch von oben auf den Boden zurück, als wollte er sich mit einem blauen Himmel zudecken, und kein Mensch dachte an Regen, als sich die Klasse auf den Weg machte.
Die Klasse 3 b war inzwischen schon eine halbe Stunde unterwegs. Sie marschierte durch das Vogelparadies, vorbei am Eingang zur Schatzinsel, der gleich dicht hinter der Schleckbrücke ins mit dichten Sträuchern und Gestrüpp bewachsene Gelände führte. Immer geradeaus ging es weiter. Alle kannten den Weg, denn alle waren ihn gemeinsam bereits mehrmals gegangen, um nach einer Viertelstunde rechts abzubiegen auf einen Pfad, der zu Ilana Lundströms Reithof führte. Diesmal ging es aber geradeaus weiter in unbekanntes Gebiet, zum Zauberwald. Der begann in der eingeschlagenen Richtung irgendwo am Ende des Weges.
Herr Hoffmann tat sehr geheimnisvoll und gab auf die Fragen der Kinder, wie weit es denn noch bis zum Zauberwald sei, warum es ein Zauberwald sei, ob es dort schön sei, ob es dort wilde Tiere gäbe, ob wir dort eine Frühstückspause machten, ob die Bäume dort dick und lang seien, ob es dort Hexen gäbe, ob wir dort Fußballspielen könnten - auf alle diese Fragen keine Antwort. "Wartet ab, Kinder, lasst euch überraschen!" war das einzige, was er erwiderte.
Nachdem die Kinder noch eine weitere Viertelstunde gewandert waren, wurde es immer dunkler. Das lag daran, dass die Sträucher und die Bäume immer mächtiger wurden. Ihr Laubwerk verdunkelte den Himmel. Bald standen die Kinder vor einem riesigen Torbogen aus mit dichtem Laub bewachsenen dünnstämmigen Bäumen und Sträuchern. Das war der Eingang zum Zauberwald. Kein Tor, keine Tür! Nur ein großer Bogen aus Holz und Laub. Dahinter erstreckte sich ein dichter Wald mit großen alten Bäumen, durch deren Laubwerk die Sonne nur wenige Strahlen hindurch zu senden vermochte.
Am Eingang stand an der rechten Seite ein kleines Häuschen, zusammengezimmert aus Holzbalken und Teerpappe, mit einem kleinen
Fenster zur Vorderseite hin, mit Blick auf den Eingang. Niemand schien sich im Innern aufzuhalten. Musste man kein Eintrittsgeld bezahlen? War der Besuch des Zauberwaldes kostenlos? Nein! Simon
entdeckte als erster ein Schild. Auf dem stand: "Eintrittsgelder erst nach dem Besuch des Zauberwaldes entrichten." So wanderte die Klasse 3 b frohen
Mutes in den Zauberwald hinein. Jedes Kind war gespannt darauf, was es wohl dort an Besonderheiten geben würde. Herr Hoffmann hatte ja von einem "totalen" Ausflug gesprochen. Doch alles, was die
Kinder nach dem Durchwandern des großen Torbogens wahrnahmen, bestand aus alten hohen Bäumen und Gestrüpp. Das sollte ein Zauberwald sein? Aber man muss schon Geduld aufbringen, um bisweilen Neues zu entdecken. Dies galt auch für die 3 b.
Als schon viele ungeduldig wurden und einige sich sogar zu langweilen begannen, weil der Zauberwald außer alten Bäumen und Sträuchern nichts zu bieten hatte, gab es einen fürchterlich lauten Knall, so dass alle zusammenfuhren. Wie aus einem riesigen Lautsprecher ertönte Tanjas Stimme: "Weitergehen, geradeaus, an der nächsten Kreuzung rechts einbiegen, erst dann seid ihr auf dem richtigen Weg!" Die gesamte Klasse setzte sich nun recht schnell in Bewegung und bog an der nächsten Kreuzung nach rechts ab. Jetzt würde der Zauberwald seine ganze Pracht entfalten. Der Hunger und der Durst hatten sich inzwischen bei allen Kindern der Klasse gemeldet. So war der Zauberwald zunächst einmal nicht ganz so wichtig wie die mit Speisen und Getränken prall gefüllten Rucksäcke. Zunächst mussten die Mägen etwas zu tun haben, danach würden die fünf Sinne wieder wach werden.
Dieses Frühstück war toll! Es wurde nicht in dem muffigen Klassenraum eingenommen, sondern in der frischen Waldluft. Der Wald sah übrigens etwas anders aus als vorhin, bevor wir auf Tanjas Rat hin nach rechts abgebogen waren. Die Sonnenstrahlen drangen sogar durch dichtes Laubwerk und tauchten den Waldboden in ein weißes, leicht zitronengelbes Licht. Die Gesichter der Kinder erstrahlten darin, als würden sie mit einem großen Scheinwerfer angeleuchtet. Es war sehr still, denn die meisten Kinder kauten oder nuckelten an ihren Trinktüten und Flaschen. Da rief Heiko plötzlich und unvermittelt: "Meine Mutter hat gar keine Torte eingepackt! So ein Mist!" Dominik hörte man sagen: "Ich mag den Käse nicht. Wie der stinkt! Wie Katharinas Ziegenkäse! Kathi, magst du den? Ich gebe ihn dir." Doch Katharina winkte ab. Woher wusste Dominik, dass sie eine Beziehung zu Ziegen und Käse hatte? Die Kinder aßen und tranken, tranken und aßen, kauten und einige schmatzten sogar dabei. Auch war hin und wieder deutlich ein Schlürfen zu hören. Manche tauschten Süßes gegen Saures, Hartes gegen Weiches, Grünes gegen Rotes, Rundes gegen Eckiges, Schweres gegen Leichtes, Braunes gegen Weißes, Äpfel gegen Birnen, Bananen gegen Apfelsinen, Lutscher gegen Kaugummi und nette gegen böse Worte.
Simon tauschte ein Leberwurstbrötchen gegen einen Glitzerstein, den Bahar im Wald gefunden hatte. Und Bahar versetzte ihr Salamibrötchen und erhielt dafür von Dennis einen Riesenkaugummi mit Waldmeistergeschmack.
Nachdem sich alle Kinder durch mitgeschleppte und untereinander getauschte Speisen und Getränke gestärkt hatten, versammelten sie sich im Schatten einer wohl mehrere hundert Jahre alten Eiche. Solch einen dicken und knorrigen Baum hatten die Kinder noch nie in ihrem Leben jemals gesehen. Er besaß ein dunkelgrünes Laubwerk, doch seine kräftigen Äste ragten an ihren Spitzen kahl in den hellen Himmel hinaus, als wären sie längst abgestorben. Dieser Baum hatte es den Kindern angetan. Ricky versuchte hinauf zu klettern, doch einer der unteren Äste brach ab und Ricky landete mit ihm auf dem weichen Waldboden gleich neben Danielas Rucksack. Da meldete sich auf einmal Stefans Stimme: "Ich denke, das ist hier ein Zauberwald. Ich sehe aber keinen Zauberer, nur Wald. Wer zaubert denn hier? Ist ja langweilig." Da lief auf einmal ein Hund hinter Stefan her. Er rief: "Ich heiße Ole, und wie heißt du?" "Ich bin Stefan! Du kannst ja sprechen!" Hoch droben im Baum saß ein Rabe und krächzte: "Ich bin Leo, Leo, Leo! Ihr kennt mich doch!" "Natürlich, aus dem ersten Schuljahr, du gehörst zu den Tobis! Wie geht es denn dem Opa und der Oma, was machen Mama und Papa? Was ist mit Alo und Ela? Lebt Tante Lili noch? Und Tante Ina? Hat euch der Wolf noch belästigt? Oder ist er inzwischen gestorben?" fragten die Kinder aufgeregt. Sie hatten noch weitere Fragen: "Seid ihr Tobis noch alle so wie früher zusammen?" Leo krächzte: "Ja, wir sind noch komplett: Alo und Ela, Leo und Ole, Opa und Oma, Mama und Papa, Ina und Lili, die Biber, der alte Uhu, der riesige Bär, Elas Freundin Sylvia mit ihrem Pony. Wir leben alle noch und treffen uns in jedem Jahr im September." "Toll!" riefen da die Kinder, wir hatten euch inzwischen schon fast vergessen! Wenn wir gewusst hätten, dass ihr ganz in unserer Nähe lebt! Ihr habt uns das Lesen und Schreiben beigebracht. Vielen Dank dafür!" "Oh, bitte!" krächzte Leo, "ich werde der Tobi- Familie erzählen, dass ich euch getroffen habe." Sodann erhob er sich in die Luft und flog davon.Während die Kinder ihm noch nachschauten, vernahmen sie in einer Baumkrone ein Rascheln. "Seht, ein Eichhörnchen!" rief Julia. "Eichi, Eichi!" schrieen alle Kinder. War das nicht ihr Eichhörnchen, das ihnen im 1. Schuljahr tolle und spannende Geschichten über die Tobis und den Tobiwald erzählt hatte? Das Eichhörnchen sprang von Ast zu Ast und bald war es aus den Blicken der Kinder verschwunden. "Ob es uns nicht wiedererkannt hat?" fragte Elena. "Vielleicht waren wir einfach zu laut und haben es verscheucht“, meinte Franziska. "Das mit den Tobis habt ihr euch nur eingebildet!" rief Kai. "Raben gibt es überall, ebenso Hunde und Eichhörnchen. Das müssen nicht Leo, Ole oder Eichi gewesen sein!" "Ihr habt wieder alle recht," meldete sich der Lehrer dazwischen. "Wirklich ist nur das, was wichtig für euch ist. Wenn Leo dein Freund geworden ist, wirst du jeden anderen Raben mögen. Wenn Ole dir etwas bedeutet hat, wird dir jeder andere Hund nicht gleichgültig sein. Wenn du Eichi mochtest, wirst du jedes Eichhörnchen lieb haben." Ähnliches hatten die Kinder doch heute schon einmal gehört. Nun meldete sich Stefan: "Ich hatte erst den Verdacht, der Hund hinter mir sei mein "Flöckchen". Flöckchen habe ich nämlich sehr gerne. Nun meinten wirklich einige Kinder, sie hätten im Zauberwald ihre Bekannten aus der Tobi - Fibel wiedergetroffen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Der Wald war riesengroß und schien nirgendwo ein Ende zu haben. Ein Hase lief Haken schlagend vor den Kindern über den mit verfaulten Blättern bedeckten Waldweg, der immer breiter wurde. Erneut war ein Krächzen zu vernehmen. Alle Kinder schauten zu den Baumkronen empor. Einige meinten einen davon huschenden Schatten wahrzunehmen. Hin und wieder raschelte es im Geäst.
Nach einer weiteren Viertelstunde teilte sich der Weg. Die Kinder blieben stehen, weil sie nicht wussten, in welche Richtung sie gehen sollten und warteten auf ein Zeichen ihres Lehrers. Da meldete sich Ricky zu Wort: "Wir müssen uns links halten. Dieser Weg führt zu mir nach Hause. Ich wohne hier ganz in der Nähe." "Hier? Im Zauberwald? Seit wann?" wollten mehrere Kinder wissen. "Schon immer, ich habe es euch nur noch nicht verraten! Herr Hoffmann weiß das schon lange." Ungläubig starrten die meisten Kinder in Rickys Gesicht. Ob das stimmte, wollte nun jeder wissen.
So rannten sie los in die vorgeschriebene Richtung, immer weiter, immer geradeaus, bis sie ganz aus der Puste waren und kaum noch laufen konnten. "Ricky, wo wohnst du denn nun? Das ganze war doch wohl ein Scherz!" meinte Kai. Ricky holte tief Luft, so tief, als hätte er eine Menge zu sagen und müsse es gleich herausbringen: "Ich muss euch etwas sagen. Ich wohne nicht so wie ihr es vielleicht vermutet. Ich habe alles so umgebaut, dass ich mich wohlfühlen kann. Seht ihr dort hinter der mächtigen Buche das Gartenhaus? Dort wohnt meine Mutter mit meinem Bruder Thomas. Ich kann jederzeit dort hingehen, dort wohnen, frühstücken, zu Mittag und zu Abend essen. Doch ich habe mir in diesem Wald auch mein eigenes Reich geschaffen. Wir müssen nur noch ein Stück weitergehen. Seht ihr dort drüben die Mauer aus Bruch- und Ziegelsteinen? An einer Stelle, die etwas dunkler aussieht, ist ein großes Loch. Wenn ihr da durchsteigt, seid ihr in meinem Reich." Alle Kinder setzten sich sofort in Bewegung, denn jeder wollte Rickys Reich möglichst als erster kennen lernen. So sah man 24 Kinder durch ein großes Mauerloch kriechen. Als alle hindurchgelangt waren, weiteten sich ihre Augen. Vor ihnen lag ein großes Stadion, rundherum Hunderte, Tausende von Zuschauerplätzen. Dahinter dichter Wald und undurchdringliche Hecken. "Ricky!" riefen die Kinder, "das gehört dir?" "Ja“, erwiderte er, "das Stadion hier im Zauberwald habe ich für mich anlegen lassen. Das war nicht gerade billig. Aber bezahlt habe ich alles von der Ablösesumme, die ich vor einem Jahr vom Fußballverein "Schleckbomber" kassiert habe. Aber Schleckbomber kann mich nun nicht mehr länger finanzieren, und seit gestern spiele ich wieder für Borussia Oedt." Die Kinder der 3 b konnten es noch immer nicht fassen, dass dieses vor ihren Augen liegende Fußballstadion ihrem Mitschüler und Freund Ricky gehörte, dem klassenbesten Fußballspieler. Auf einer großen Anzeigetafel waren bereits die nächsten Spiele aufgeführt. Ricky selbst hatte sie arrangiert. Er wollte bislang wenig bekannte Fußballmannschaften fördern und diese einer breiten Öffentlichkeit vorstellen in seinem Stadion, vor Tausenden von Zuschauern.
Folgende Begegnungen sollten in der nächsten Zeit, meist samstags, ausgetragen werden: "Kleinbahn Kickers" gegen die "Johann Fruhen Bomber". "Girmes Hopser" gegen "Bergweg Banausen". "Marienschule - Flöten" gegen "Burg - Uda - Kicker". "Klixdorf 04" gegen "Sauna Club". "Vorster Knaller" gegen "Safaria Graverdyk". "Heimer Waldschnepfen" gegen die "Butzen Fetzer".
Auch überregionale Mannschaften sollten vermehrt teilnehmen. So würden sich bald die "Dollar Bananen" mit den "Euro Ball Pumpern" aus Maastricht messen. Ricky wollte auch Länderspiele organisieren. So sollten in einem Spiel die "Weimarer Schillerlocken" mit den "Düsseldorfer Radschlägern" zusammentreffen. Auch war ein Spiel zwischen den "Berliner Ballen" und den "Thüringer Rostbratwürstchen" geplant.
Ricky hatte sogar noch größere Pläne. Er wollte in seinem Stadion die Mannschaften Chinas und der USA zusammenbringen: "Ching - Chang - Bumm - Summ" Peking gegen "Pommes Frites - Rülps - Mc. Don" Chikago. Weiterhin war ein Spiel zwischen Sack - Don Weißrussland" gegen "Müllermilch Bavaria" geplant.
Die Kinder staunten nicht schlecht. Sie riefen: "Dürfen wir beim nächsten Spiel mal dabei sein?" "Aber ja," erwiderte Ricky. "Eine Eintrittskarte kostet allerdings 1200 DM." "Hast du nicht alle beisammen?" beschwerte sich Tanja." Dafür müsste ich mein Taschengeld so lange zurücklegen bis ich Uroma bin!" Doch Ricky stellte sich vor die Kinder der Klasse und rief: "Beim nächsten Spiel seid ihr alle meine Gäste! Keine Kosten!" Da grölten und jodelten die Kinder vor Freude. "Wir kommen alle!" riefen sie. „Wann ist das nächste Spiel?" "Am kommenden Samstag ab 16 Uhr." "Wer spielt?" "Hahnenweide 09 gegen die Graver-Dicken vom Erkeshof." "Spielst du selbst mit?" wollte Marco wissen. "Willst du mich beleidigen?" gab Ricky zurück. "Das sind die größten Flaschen weit und breit. Diesen Mannschaften muss ich erst einmal beibringen, dass ein Fußball rund ist und keine Ecken hat!
Stellt euch vor: Beim letzten Training gab es einen Eckstoß für die Graver-Dicken. Meister Mutz, der den Eckstoß ausführen sollte, schrie den Schiedsrichter an: "Den Ball mit den Ecken her! Wie soll ich mit einem runden Ball einen eckigen Stoß machen?" Daraufhin zeigte ihm der Schiedsrichter Heini Heckenschuss den Vogel und schrie: "Du hast wohl 'ne Ecke ab! Schieß endlich!" Das tat er dann auch widerwillig und zog das runde Leder in die rechte Ecke des Tores. Alle schrieen: "Tooor!" Meister Mutz nahm das persönlich und erstattete Anzeige gegen alle Zuschauer. Er, ein Tor? Ein Dummkopf? Ein Tölpel? Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.
Nun ist er erst einmal gesperrt, der Meister Mutz, wegen unsportlichen Verhaltens. Doch der Verein "Schussmuffel Anrath" hat bereits sein Interesse am Spieler Mutz bekundet und will eine Ablösesumme bezahlen, die sich gewaschen hat. Mutz ist für Geldwäsche ebenso gut zu gebrauchen wie er begehrt ist wegen seiner originellen Dummheit. Wenn er vor dem Hohen Gericht erscheinen muss, verlangt er sofort den Linienrichter. Ja, wenn er erst einmal bei "Schussmuffel Anrath" spielt, wird er schon beweisen müssen, was er kann. Die Leute in meinem Stadion werden ihn verehren, auf die Anzeigetafel starren und rufen: "Schriften und Zahlen auf der Wand, wer ist der beste Spieler im Land?" Und auf der Anzeigetafel wird eine Leuchtschrift erscheinen: "Meister Mutzi, du spuckende Kuh! Der Ricky spielt tausendmal besser als du!" So beendete Ricky seinen Vortrag.
Alle Kinder hatten Ricky aufmerksam zugehört. Natürlich war er besser als Meister Mutz, den ja sowieso keiner kannte. Nun wollten sich alle das Stadion einmal genauer ansehen und strömten aus einander. Ricky holte sofort einen Fußball und trainierte mit seinen Leuten aus der 3 b. Auch zwei Mädchen waren darunter: Bahar und Franziska. Der Rest der Klasse schwärmte umher und bedauerte, dass es keine Taue zum Schwingen gab. So hingen sie sich einfach an die Äste und strampelten mit ihren Beinen in der Luft herum. Das machte auch Spaß. Doch nach einer halben Stunde ertönte Hoffis Trillerpfeife. So standen die Kinder bald traubenförmig um ihn herum. Man konnte ihren Gesichtern entnehmen, dass sie noch gerne länger in Rickys Stadion geblieben wären, aber die Wanderung musste fortgesetzt werden. So gingen sie bald vergnügt weiter und kamen, wenn auch an einer anderen Stelle, auf den alten Weg zurück, von dem aus sie den Abstecher zu Ricky unternommen hatten. Dieser Weg war mit einer dicken vermoderten Laubschicht bedeckt und ziemlich glitschig.
Schon lag Marco auf der Nase, besser gesagt: auf seinem linken Knie. Dabei hatte ein Stein unter dem Laub seine Haut aufgeschürft und es blutete ziemlich stark. Doch bereits nach den ersten Hilferufen kam Bahar wie ein Düsenjäger mit der Erste - Hilfe - Tasche angeflogen. Marcos Knie wurde mit einem Wundverband versehen und bald nach diesem "Kniefall" marschierte die Klasse 3b schon wieder weiter. Der Weg schien endlos geradeaus zu führen. Er war jetzt von beiden Seiten von recht jungen Bäumen gesäumt, deren Wipfel sich zueinander neigten und den Eindruck eines grünen Tunnels hervorriefen, durch den die Klasse wie ein Tausendfüßler dahin kroch. Als die Kinder wiederum eine Zeitlang unterwegs waren, wurde es über ihren Köpfen allmählich immer heller. Der lange, endlose, tunnelartige Weg mündete in einen großen Platz, fast so groß wie ein Fußballfeld., umrahmt von uralten Buchen und Eichen, die ihr Laubwerk wie eine große Mauer empor reckten. In dieser Lichtung befand sich ein Abenteuerspielplatz. Die Kinder konnten schon von weitem die zahlreichen Holzbauten erkennen, auf denen sich einige Kinder herumtummelten: Hängebrücken aus Holzbalken, Burgen, Klettergerüste, Sandkästen, Holztürme und Gerüste, Zäune, Treppen, Kriechtunnel, Buden, Aussichtsplattformen usw. Diese Überraschung nahm die Aufmerksamkeit der Kinder völlig in Anspruch.
Aber, wieso waren sie hier nicht allein? Wer waren die fremden Kinder auf dem Spielplatz? Wo kamen sie her? Machten sie auch einen Ausflug? Kamen sie vielleicht von einer Grundschule in Grefrath? Nein, so dunkelbraun waren keine Kinder aus Grefrath! Einige sahen fast schwarz aus! So gerne die Kinder der 3b auch diesen Spielplatz nur für sich alleine gehabt hätten, so neugierig waren sie andererseits, etwas über jene fremden, dunkelhäutigen Kinder zu erfahren, die sich auffallend ruhig bewegten und spielten. Tanja sprach eines der fremden Mädchen einfach an: "Wie heißt du?"
"Hallo, ich heiße Nita und lebe in Tansania, in einem ostafrikanischen Land. Als ich fünf Jahre alt war, wurde ich schwer krank. Es dauerte lange, bis ich wieder gesund war und aufstehen konnte, und wer bist du?"
"Ich bin die Tanja, unsere Klasse macht einen Ausflug. Erzähle doch weiter!" "Nach meiner Krankheit konnte ich nichts mehr sehen. Verzweifelt rieb ich meine Augen, doch es blieb dunkel. Ich war blind. Meine Eltern taten alles, um mir zu helfen. Es war umsonst. Doch eines Tages kam ein Freund von meinem Vater zu Besuch. Er sagte, es gäbe in einem hundert Kilometer entfernten Ort, in Irente, eine Schule, in der blinde Kinder Lesen und Schreiben lernten, und zwar so gut, dass sie später allein zurecht kommen könnten. Ich hörte gut zu. Ob es wohl dort einen Platz für mich gab? Vater fuhr mit mir nach Irente und sprach mit dem Schulleiter. Ich durfte bleiben! Mein Vater fuhr wieder nach Hause zurück. Nun war ich allein mit den vielen fremden Kindern und Erwachsenen.
Anfangs hatte ich Heimweh nach meiner Familie und meinem Dorf." Inzwischen hatten sich mehrere Kinder der 3b um Nita geschart und hörten aufmerksam zu. "Wie war es denn in dieser Schule? Erzähle weiter!" drängte Tim. "Alles war dort so neu“, fuhr Nita fort, "völlig anders als ich es gewohnt war. Doch nach ein paar Tagen hatte ich mich eingelebt. Mein Heimweh verflog und das neue Leben in Irente begann mir Spaß zu machen. Ich lebte mit vielen anderen Kindern zusammen, die auch blind waren und die gleichen Probleme hatten wie ich. Bei uns gibt es sogar blinde Lehrer. Wenn jemand in die Heimfamilie kommt, versammeln sich alle auf dem Schulhof. Dann kommt der Fotograf und macht ein Bild von uns allen, damit wir es unseren Eltern schicken können."
Jetzt sprang Nita plötzlich auf und kletterte über die Strickleiter hinauf zum Römerturm. Dabei rief sie: "Fangt mich doch, wenn ihr könnt!" Das ließen sich die Kinder der 3b nicht zweimal sagen und liefen hinter Nita her. Doch so sehr sie sich auch abmühten, Nita zu fangen, es gelang ihnen nicht. Nita war stets etwas schneller und in ihren Bewegungen sehr geschickt. "Du kannst ja gar nicht blind sein!" rief Simon, "wie könntest du dich sonst so problemlos fortbewegen und hier herumrennen, ohne irgendwo anzustoßen oder vorzulaufen!" "Du bist noch nicht gut genug informiert“, gab Nita zurück, "wir sind doch hier im Zauberwald. Hier erhält jeder Blinde so lange sein Augenlicht zurück wie er einen sehenden lieben Menschen um sich hat. Als du, liebe Tanja, mich so nett ansprachst, wurde es sogleich hell um mich und ich konnte wieder alles erkennen." "Das gibt's doch nicht!" meinte Dominik. "Und wenn nun jemand nicht nett zu dir ist, dich beschimpft, schlägt oder beleidigt?" "Dann erblinde ich wieder augenblicklich und alles ist so dunkel und trostlos wie zuvor“, antwortete Nita. "Komm, das probieren wir mal aus“, flüsterte jemand aus der Klasse. Und dann schrie einer: "Nita, du blöde Kuh, hau endlich ab!"
Kaum waren diese Worte verhallt, als Nita innehielt und sich mit beiden Händen am Geländer der Hängebrücke festhielt. "Jetzt bist du gefangen, jetzt hab' ich dich!" rief Elena. "Das ist unfair!" meinte Oliver, "ein blindes Mädchen zu fangen, ist ja wohl kein Kunststück!"
So hatten die bösen Worte eines Kindes, auch wenn es gar nicht so gemeint war, Nita tatsächlich wieder blind gemacht. Sie stand traurig und hilflos da und hatte Tränen in ihren Augen. Die Kinder staunten, dass auch erblindete Augen noch so schön aussehen können. Doch alles wurde rasch wieder anders, als viele Kinder nahezu gleichzeitig sprachen: "Nita, sei nicht traurig, du bist so nett, wir mögen dich doch alle, du hast nur die Wahrheit gesagt, erzähle doch noch mehr von deiner Blindenschule!"
Sofort begannen Nitas Augen zu funkeln, sahen dunkel und noch schöner aus, als sie Halt in den Augen der weißen Kinder suchte. Sie konnte wieder sehen!
Daniela fragte: "Sind die anderen dunkelhäutigen Kinder auch blind? Gehören sie auch zu der Blindenschule? Ist das deine Klasse, Nita?" "Ja“, antwortete sie, "alle sechzehn Kinder gehören zu meiner Klasse. Alle hatten ein ähnliches Schicksal wie ich. Sie haben durch eine schlimme Krankheit ihr Augenlicht verloren. Doch zurzeit sind sie alle geheilt wie ich. Solange im Zauberwald nur irgend jemand nett zu mir ist und mir zuhört, können auch all die anderen Kinder meiner Klasse sehen." "Das ist toll!" rief Stephanie. Doch wer ist der große Mann dort auf der Bank mit dem dunklen Gesicht und dem krausen Haar?" "Das ist unser Lehrer Butu", erwiderte Nita. "Unter normalen Bedingungen ist er ebenso blind wie wir, aber auch er kann sofort wieder sehen, wenn irgendeiner aus unserer Klasse sein Augenlicht zurück bekommt."
Herr Hoffmann ging auf Lehrer Butu zu, reichte ihm die Hand und sagte: "Schön, dass wir uns hier treffen! Das ist aber eine Überraschung! Ganz toll!" "Find ich auch!" entgegnete Butu. "Die Kinder kommen recht gut miteinander aus. Sehen Sie, wie sie miteinander spielen und sich unterhalten. Sollen wir uns nicht einmal in einem Kreis zusammensetzen?" "Ja, natürlich,“ erwiderte Herr Hoffmann und trillerte auf seiner Pfeife. "Oh, wie laut, muss das sein?" meinte Mister Butu. Sind ihre Kinder schwerhörig oder etwa auch blind? Bei mir geht das so, wenn die Kinder herkommen sollen," und er schnippte ein paar Mal mit seinem rechten Daumen und dem Mittelfinger. Sogleich eilten seine Kinder herbei.
"Wir Blinden haben ein ausgezeichnetes Gehör, müssen Sie wissen, wir "sehen" sozusagen mit den Ohren!" fügte Butu hinzu. Bald hatten sich alle Kinder, 24 weiße, 16 aus Afrika in einem großen Kreis auf dem weichen Waldboden niedergelassen. Einige konnten sich nicht zwischen Hinhocken und Hinsetzen entscheiden, da ihre Beine nicht recht wussten, was sie für bequemer halten sollten.
So wählte Dennis die Position der Seitenlage, wobei sich die ausgestreckten Beine entspannen konnten und der Kopf zusätzliche Entlastung durch den auf dem Ellenbogen aufgestützten rechten Arm erfuhr, da die Handinnenfläche genug Raum bot, die rechte Wange abzustützen.
Wichtiger, viel bedeutsamer als das Sitzproblem auf ebener Erde war die Sache mit dem Augenlicht. Die Kinder wurden nachdenklich, sowohl die, für die es selbstverständlich war zu sehen, als auch die, welche im Dunkeln gelebt hatten und nun plötzlich wieder sehen konnten. Die Augen aller waren weit offen. Niemand war blind! Die, welche von Geburt an schon immer sehen konnten, meinten, nun mehr zu sehen als vorher. Und die, die durch Krankheit erblindet waren, sahen ebenfalls mehr, was sie den Kindern aus Oedt und Mülhausen verdankten. Ach, wenn es doch so bliebe!
So sahen sich alle Kinder an und kamen ins Gespräch. "Wir sollten uns einander vorstellen", meinte Herr Hoffmann. "Wer fängt an? Wollt ihr nichts loswerden?"
Butu sprach: "Bitte, meldet euch zu Wort! Wartet, bis ihr an der Reihe seid und hört dem, der gerade spricht, aufmerksam zu!"
Die Kinder der 3 b kannten das. Also galten auch in Afrika dieselben Gesprächsregeln.
Da meldete sich Rinka, einer der kleinsten dunkelhäutigen Jungen zu Wort: "Der erste Tag in der neuen Umgebung in der Schule war aufregend und voller Überraschungen. Ich lernte die Kinder und die Lehrer kennen. Alle waren nett zu mir. Unsere Klassenräume sind ziemlich klein, aber das macht nichts." Danach meldete sich Lotus und sprach: "Für uns blinde Kinder ist es gar nicht so leicht, mit unseren ungeschickten Händen etwas Nützliches zu tun. "Mensch ärgere dich nicht" kann sehr ärgerlich werden, wenn die Figuren ständig durcheinander purzeln." Hani meinte: "Ich gehe gern zur Schule. Das Lernen macht mir Spaß, immer wieder erfährt man etwas Neues. Wir blinde Kinder freuen uns über unsere Erfolge genauso wie andere." Nun war Riva dran: "Seit ich in der Schule bin, ist für mich alles anders geworden. Ich sitze nicht mehr traurig herum und bin nicht mehr so verzweifelt, weil ich nicht mehr sehen kann. Ich bin froh, dass ich dort sein darf." Kork, ein etwas dicklicher, für sein Alter etwas zu klein geratener, pechschwarzer Junge meinte: "In meiner Klasse gibt es keine Wandtafel und keine bedruckten Schulbücher. Meine älteren Geschwister haben mir oft erzählt, was der Lehrer an die Tafel schreibt und was sie in den Schulbüchern lesen müssen. Wir lesen mit den Fingerspitzen. Die Blindenschrift besteht aus verschieden angeordneten, in das Papier gestanzten Punkten, die wir mit den Fingerspitzen ertasten. Am Anfang war es schrecklich schwer. Doch jetzt kann ich schon lesen und kenne viele Wörter und Sätze. Auch unsere blinden Lehrer lesen mit den Fingern."
Sweta, ein lang gestrecktes Mädchen, ziemlich dünn, mit zwei kurzen schwarzen Zöpfen, ergriff als nächste das Wort: "Rechnen ist eigentlich gar nicht so schwer. Wir legen geometrische Figuren mit Kronendeckeln von Sprudelflaschen. Wir haben in unserem Klassenraum ein Wandbrett, wo wir das Zählen und Rechnen lernen. Unsere Schulleiterin, Frau Machhimbo, hat sich viele solcher einfachen Hilfsmittel ausgedacht. Bei ihr macht der Unterricht deshalb richtig Spaß."
Lumbo, ein Junge mit leicht geröteten Augen und auffallend langen dünnen Armen, natürlich total dunkel, abgesehen von seinen leuchtend weißen Zähnen, die beim Reden schlagartig etwas hervor traten, meinte: "Unterricht und Spiel gehören bei uns zusammen. Viele können sich einfach nicht vorstellen, wie gerne wir singen, spielen und tanzen. Manche Leute denken immer, dass blinde Kinder gar nicht fröhlich sein können! Haben die eine Ahnung! Wenn wir erst einmal angefangen haben zu tanzen, finden wir kein Ende mehr und sind total ausgelassen. Wir sind froh, dass wir beisammen sein dürfen, dass wir Freunde haben, dass gute Lehrer und Helfer uns betreuen, die mit uns spielen und lernen. Das finden wir prima!"
So redeten die Kinder, um die es normalerweise immer dunkel war und die sich jetzt, leider nur für kurze Zeit, ihres zurückerhaltenen Augenlichts erfreuen konnten, hier im Zauberwald, in dem sie mit den lieben Kindern der 3 b zufällig zusammengetroffen waren und die ihnen die Augen durch ihre Zuneigung geöffnet hatten.
Muamba konnte es kaum erwarten, als nächste dran zu kommen und etwas los zu werden: "Um sechs Uhr früh beginnt bei uns schon der Tag. Wir waschen uns und putzen unsere Zähne. Die Lehrerin hilft nur, wenn einer gar nicht mehr zurechtkommt. Selbstverständlich machen wir unsere Betten selber. Das haben wir in kurzer Zeit gelernt. Jeden Morgen werden die Laken ganz abgezogen und neu auf die Matratze gelegt. Darauf kommen ein Betttuch, eine weiche Wolldecke und die Tagesdecke, die sich jedes Kind selbst gehäkelt hat. Frau Machhimbo ist sehr zufrieden mit uns. Sie sagt, dass unsere Zimmer immer tiptop aussehen."
"Das machen wir aber auch!" rief Kai dazwischen. "Wir haben in unserer Klasse einen Ordnungsdienst eingerichtet, der jeden Tag nach dem Unterricht für einen sauberen Klassenraum sorgt. Wir sammeln Papier auf und kehren den Schmutz zusammen, Ricky und ich." "Habt ihr denn auch einen Garten?" wollte Ritinga wissen. "Wir," fuhr Bongo fort, "arbeiten am Nachmittag im Garten. Wir haben Plantagen und Gartenanlagen, die wir selber instand halten. Vielleicht denken manche, dass blinde Kinder keine geraden Furchen ziehen können. Die sollten sich nur mal unsere schönen Gemüsegärten ansehen! Wir können gut mit Hacke und Spaten umgehen. Im Nu ist ein neues Beet entstanden, dann wird ausgesät. Nur das Unkrautzupfen ist eine etwas beschwerliche Sache, weil wir Unkraut und Nutzpflanzen als Blinde nur schwer unterscheiden können."
Bonga, die Zwillingsschwester von Bongo, ergänzte: "Das meiste, was wir in den Gärten ernten, wird in unserer Küche verwendet. Zum Backen von Brotfladen wird viel Maismehl gebraucht. In unserem Land wird Mais mit einer Getreidesorte zu Mehl verstampft. Das ist eine Arbeit für uns Mädchen. Dabei singen wir und schlagen die Hölzer im Takt dazu."
Nun meldete sich Fina und sagte: "Ich gehöre zu einer Gruppe, die grüne Bananen schält. Daraus wird eine leckere Nachspeise bereitet. Auf eines freue ich mich immer besonders: Nach getaner Arbeit wird nämlich geschaukelt. Es ist herrlich, durch die Luft zu fliegen." "Das stimmt!" rief Johanna dazwischen, "ich stelle mir dann immer vor, ein Vogel zu sein, der um die ganze Erde fliegt. Ich schaukele so gerne!" "Ja," meinte Fina," ich vergesse dabei sogar, dass ich blind bin. Wenn es auch um mich herum dunkel aussieht, so wird es doch in meinem Herzen ganz hell!"
Die Kinder der Klasse 3b hörten aufmerksam zu. Das klang wie aus einer anderen Welt, aus einer strahlenden, hell erleuchteten Welt, in der blinde Kinder lebten. Sie machten überhaupt keinen unglücklichen Eindruck. Und jetzt, da sich ihre Augen für eine Stunde öffneten, konnten sie es kaum fassen, wie reichlich beschenkt sie waren und wie froh es sie stimmte, in diesem hellen Kreis von Kindern zu sitzen. Deshalb wohl sprudelten ihre Worte nur so aus ihnen heraus und die 3 b kam eigentlich kaum zu Wort.
Lehrer Butu hatte schon längst etwas sagen wollen und ergriff jetzt das Wort: "Wie ihr Kinder aus Deutschland schon gehört habt, lesen wir in der Blindenschrift, die aus verschiedenen Gruppen von Punkten besteht. Wir können somit all die interessanten Bücher lesen, die andere auch kennen. Die Mädchen der 6. Klasse lernen sogar Maschinenschreiben. Sie können Briefe schreiben, die jeder sehende Mensch lesen kann. Das Hauptfach an unserer Schule ist übrigens Sport. Dazu machen wir viel Musik. Das ist ein Riesenspaß." "Die Turnstunde mit Frau Machhimbo mögen wir deshalb so sehr, weil sie immer wieder neue Spiele mit uns macht!" rief Murbasa und wippte dabei auf ihrem Po hin und her. Orto meinte: "Nach einer solchen Turnstunde sind wir dann auch besonders hungrig. Wir helfen oft in der Küche und putzen Gemüse." "Küchenarbeit ist für uns alle besonders wichtig. Wir lernen, wie man mit heißen Töpfen umgeht, ohne sich zu verbrennen," warf Amamba ein. "Das möchte ich auch lernen!" meldete sich Daniela, "ich habe mir gestern beim Einlassen des Badewassers eine Hand verbrüht. Einen heißen Topf zu tragen, würde ich mir erst gar nicht zutrauen."
Oliver sagte: "Auch wir verteilen in unserer Schule Aufgaben. So gibt es zum Beispiel einen Milchdienst. Jene Kinder tragen den Bestellzettel und das eingesammelte Geld zum Hausmeister und pieksen jeden Morgen Strohhalme durch die Flaschendeckel." "Andere Kinder müssen Bücher, Hefte und Arbeitsblätter austeilen oder Briefchen zu anderen Klassen tragen“, äußerte sich Dominik. "Wir nennen das den Verteilerdienst." Heiko rief: "Beim Sport werden ein paar Kinder als Helfer eingeteilt. Das ist ein besonders schwerer Dienst. Tragt ihr mal einen Kasten, der so viel wie ein Sack Kartoffeln wiegt. Rollt ihr doch mal den Wagen mit den Turnmatten durch die Halle, der so schwer ist wie ein voll beladener Güterwagen!" "Außerdem ist dieser Dienst gefährlich!" meldete sich Dennis dazwischen, "mir ist mal eine Holzbank auf den Fuß gefallen, der daraufhin anschwoll wie ein Heißluftballon. Vergangene Woche wurde ich fast von einer umstürzenden riesigen Weichmatte begraben, wenn mein Namensvetter diese nicht wieder rechtzeitig an die Wand gedrückt hätte!" "Ihr übertreibt wohl ein bisschen“, meinte Kathi, "nun haltet mal die Luft an!" Die Kinder erzählten noch lange. Hoch von oben sah der Kinderkreis aus wie ein bunter Kringel mit hellen und dunklen Tupfen. So sah ihn sicher auch ein Mäusebussard, der seit ein paar Minuten unter einer hellen Wolke seine Kreise zog. Allmählich wurden die Wolken grau und zahlreicher. Der Raubvogel verschwand plötzlich aus seiner Schleife und stand danach im Rüttelschlag über einer entfernten Baumwipfelgruppe. Wenn die Sonne noch einmal durch die Wolkenlücke stieß, wozu sie sich immer seltener entschließen konnte, zog ein Teil des Himmels einen schwarzen Vorhang aus Wolkenmasse zu.
"Wenn es nun gleich Regen gibt, endet unser Ausflug!" rief Tim besorgt. "Wir verabschieden uns lieber, sonst müssen wir uns gleich noch fluchtartig davon machen! " stimmte Marco ein.
"Doch nicht so schnell!" beruhigte Butu die Kinder. "Wir haben noch genug Zeit. Wir
in Afrika sind gute Wetterbeobachter. Ich sage euch, es wird in den nächsten zwei bis drei Stunden
noch nicht regnen." Da schaute Sara nochmals zum Himmel
auf und sprach: "Hoffentlich hat er recht. Ich glaube das nicht!" "Habt ihr mal darüber nachgedacht, dass der Spaß für die Kinder aus Tansania gleich zu Ende geht?" bemerkte Vanessa und konnte ihre
Erregung nicht verbergen. "Wenn sie sich von uns getrennt haben, verlieren sie doch ihr Augenlicht
wieder, spätestens, wenn sie den Zauberwald
verlassen. Sollen wir sie nicht bis nach Afrika
begleiten?"
"Und dann müssen wir ja immer bei ihnen bleiben, wenn sie nicht wieder erblinden sollen", sagte jemand, "ich glaube, meine Eltern hätten sicher etwas dagegen!" Die heitere Stimmung machte einer allgemeinen Nachdenklichkeit Platz, die fast an Trauer grenzte. Die Kinder der 3b hatten früher eigentlich nie recht darüber nachgedacht, wie toll es ist, gesunde Augen zu haben, die tagaus, tagein sehen können. Und diese armen Kinder aus Irente? Sie hatten so fröhliche, endlich einmal taghelle Minuten mit ihnen verbracht. Was stand denen wieder bevor?
"Man muss ihnen doch helfen können!" meinte Simon. "Wir sind hier schließlich im Zauberwald. Ob man den afrikanischen Kindern nicht ihr Augenlicht für immer herbeizaubern kann, irgendwie?" "Irgendwie, irgendwie!" rief Tanja, "wie denn?" Herr Hoffmann meinte: "Wir gehen jetzt erst einmal alle los in Richtung Haupteingang. Die besten Einfälle kommen manchmal beim Wandern. Kümmert euch bitte weiterhin so nett um die Kinder aus Afrika. Jede Sekunde ihres Augenlichtes ist für sie kostbar." Ziemlich ratlos erhoben sich alle. Auch Herr Butu sah nicht mehr so froh aus wie vorhin. Kein Wunder! Stell dir nur mal vor, du wüsstest, wenn es gleich zu regnen beginnt, würdest du mit Sicherheit erblinden! Furchtbar, nicht? Je weiter die Kinder wanderten, desto mehr näherte sich die Stimmung dem Nullpunkt. Solch ein schöner Ausflug! Sollte er mit einem derartigen Stimmungstief enden?
"Scheiße!" schrie auf einmal Stefan auf, "wieso heißt das „Zauberwald“, wenn sich hier nicht zaubern lässt? Wenn man den Zauberwald wirklich einmal braucht, dann tut er nichts! In diesem Augenblick gab es einen furchtbaren Knall. Das kannten die Kinder doch schon. Nach einem solchen Knall hatte sich Tanja wie über einen großen Lautsprecher gemeldet und gesagt, wo es langgeht. Aber diesmal ertönte Tanjas Stimme nicht. In Richtung des Donnerschlages bemerkten die Kinder eine Rauchsäule. Aus der trat ein Männlein hervor mit grüner Kapuze, vorstehendem Unterkiefer, einem Spitzbart mit einem faltigen Gesicht und einem ebensolchen Rock aus grünem Samt. Die Kinder hielten augenblicklich an und starrten wie gelähmt auf jene Erscheinung. "Wer bist du denn?" fragte Computer- Dennis. "Ich bin Kraftprotz, der gute Geist des Zauberwaldes. Immer wenn im Zauberwald jemand laut "Scheiße" ruft, bin ich gleich zur Stelle. Früher war ich fast arbeitslos, aber zurzeit habe ich sehr viel zu tun. Wer von euch hat hier dieses Wort ausgerufen?" Alle blickten Stefan an und so musste er sich melden. "So, du also. Du warst das! Wie heißt du?" "Stefan". "Stefan, so so! Hoffentlich nicht "armer“ Stefan! Denn wenn du mir nicht plausibel begründen kannst, warum du dieses schlimme Wort gebraucht hast, nehme ich dich für immer in meine Zauberhöhle mit. Also, warum hast du dieses Wort in den Wald hinein geschrieen?" Zunächst eingeschüchtert, dann aber die Fassung zurück gewinnend, antwortete Stefan: "Sie sehen doch die dunkelhäutigen Kinder unter uns. Sie sind blind, nein, sie waren blind, zurzeit können sie wieder sehen. Wir, die Klasse 3 b, haben es geschafft, ihr Augenlicht zurückzuzaubern. Wir brauchten nur nett zu ihnen zu sein. Sie sind unsere Freunde. So konnten sie wieder sehen wie wir. Aber wir müssen uns gleich trennen, sobald es regnet, müssen wir nach Hause zurück. Unsere Eltern warten dann auf uns. Dann ist der Spuk vorbei und unsere Freunde und Freundinnen verlieren ihr Augenlicht wieder. Das wollen wir aber nicht. Wir sind doch hier im Zauberwald. Da muss sich doch etwas machen lassen. Kann man nicht ihr Augenlicht für immer wieder herbei zaubern?" "Und warum hast du "Scheiße" in den Wald geschrieen?" wollte der Kobold wissen. "Weil so ein Zauberwald Mist ist, wenn er es nicht fertig bringt, armen Kindern zu helfen," gab Stefan zurück. "Zaubern hin, zaubern her, das ist nicht so einfach“, gab Kraftprotz zu bedenken. "Tut mir leid, aber ihr verlangt sehr viel. Die Kraft des Waldes ist begrenzt. Viele Bäume sind krank, und ohne Bäume ist der Wald wie ein Schokoladenpudding ohne Schokolade. Ich schaue mal in meinem Zauberbuch nach. Vielleicht steht dort etwas darüber, wie man so schwierige Probleme lösen kann. Dein Kraftausdruck, lieber Stefan, war berechtigt, also nehme ich dich nicht mit in meine Höhle. Da weilen ja nur Kinder, die jenes Wort gedankenlos herausgeschrieen haben, ohne triftigen Grund." "Da hast du aber Glück gehabt, Stefan“, sagte Elena erleichtert, und ihr Satz klang wie unter einer großen Anspannung ausgehaucht. "Scheiße!" schrie plötzlich der Tintenkiller- Dennis. "Warum machst du das?" fragte Kraftprotz sogleich. "Och, nur so, weil's mir Spaß macht, ich finde das ganze megacool“, antwortete Dennis amüsiert. "Damit bist du in meine Höhle verbannt!" schrie der Kobold böse, "du hast mich eben wohl nicht richtig verstanden!" Die Kinder sahen sich um. Dennis war tatsächlich verschwunden. Einfach weg! Ja, man sollte mit dem Wort "Scheiße" eben sehr bedacht umgehen.
Meister Kraftprotz blätterte noch immer in seinem Büchlein. Dann hielten seine Augen beim Betrachten einer bestimmten Seite inne. "Ich habe etwas gefunden“, sagte er. "Das könnte euch weiterhelfen. Es ist aber nicht leicht. Vielleicht ist es sogar hoffnungslos. Aber es ist die einzige Chance, die ihr in diesem Zauberwald bekommt, um euren Freunden zu helfen. Ich sage euch, was ihr zu tun habt:
Erstens: Jeder von euch Kindern aus Oedt und Mülhausen muss seinen Traum der vergangenen Nacht erzählen können. Aber nicht mogeln! Der Traumgeist dieses Waldes wacht über euch und kennt alle eure Träume sowieso. Ihr könnt ihm nichts vormachen. Bleibt ehrlich! Etwas hinzudichten dürft ihr, das ist aber auch alles. Die Einzelheiten des Traumes müssen stimmen. Also nicht herumphantasieren! Zweitens: Jeder von euch bekommt einen grünen Zettel. Darauf muss er angeben, worauf er bereit ist zu verzichten, was er also abgeben, verschenken oder spenden will. Es muss aber ein echter Verzicht sein, sonst verfärbt sich der Zettel schon beim Schreiben ins Rote. Das kann jeder sehen und das gilt dann nicht mehr. Ein einziger roter Zettel lässt alles scheitern. Gebt die Zettel am Haupttor des Zauberwaldes ab, wenn ihr nach Hause geht. Das sind die Bedingungen, die ihr erfüllen müsst, um euren Freunden zu lebenslangem Augenlicht zu verhelfen. Guten Tag!" So sprach der Waldgeist und verschwand mit einem erneuten Knall hinter einer Rauchsäule. Die Begegnung mit Meister Kraftprotz hatte alle Kinder wie zu Salzsäulen erstarren lassen. Erst, nachdem sich der Rauch verzogen hatte, aber noch wie eine Regenwolke am Himmel stand, kehrte das Leben langsam in die wie gelähmten Körper zurück. Von Erleichterung war jedoch nichts zu spüren. Wer von den Kindern konnte seinen letzten Traum nur annähernd richtig wiedergeben? Damit war ja schon alles zum Scheitern verurteilt. Wozu sich dann noch die Mühe machen, Verzichtserklärungen auf grüne Zettel zu schreiben. So steckte Hoffi den grünen Notizblock, den er vom Kraftprotz erhalten hatte, enttäuscht in seine Tasche. Nur Dominiks Augen blitzten auf. Ihr wisst warum! Er kannte doch insgeheim alle Träume seiner Mitschülerinnen und Mitschüler, die diese in der vergangenen Nacht hatten. Jetzt durfte er sie einfach nicht mehr für sich behalten. Er allein hatte es jetzt in der Hand, die blinden Kinder wieder für immer sehend zu machen. So wurde aus ihm ein merkwürdiger Klassensprecher. Seine Klassenkameraden würden schon mitspielen. Hoffentlich hatte er auch alles genau genug behalten! So erzählte er beim Weitergehen den Kindern, jedem für sich, schön hintereinander und der Reihe nach, seinen Traum aus der vergangenen Nacht. Die waren nicht schlecht erstaunt, dass ihr Mitschüler vorgab, ihre Träume zu kennen. Zum Glück hatten sie ja nichts Schlimmes oder Intimes geträumt, sondern meist etwas Lustiges. Ihre bruchstückhaften Erinnerungen ließen sich nun zu einem sinnvollen Ganzen zusammen fügen. Somit waren sie Dominik auch nicht böse. Außerdem ging es ja für alle um eine wichtige Sache. Nach einer halben Stunde erreichten die Kinder eine Wiese, die mitten im Wald lag und von hohen Bäumen, alten Buchen, umgeben war. An einer Seite lag ein alter Baumstamm, der Rest einer vor langer Zeit gefällten Buche, deren Aststümpfe schon verfault oder mit Moos bewachsen waren. Alle setzten sich in einer langen Reihe auf den Stamm. Butu stellte sich wenig begeistert vor die Kindergruppe und sagte: "Ihr habt die Worte des Waldgeistes vernommen. Also, Kinder der 3 b, erzählt nun von euren Träumen aus der vergangenen Nacht. Wenn ihr das nicht schafft, braucht ihr erst gar nicht eure grünen Zettel von Meister Kraftprotz auszufüllen, die er eurem Klassenlehrer gegeben hat." Und dabei schwenkte dieser seine erhobene rechte Hand etwas hilflos mit einem Stapel grüner Papierbögen, zwischen Daumen und Zeigefinger eingeklemmt, hin und her. Nacheinander traten die Kinder der 3b vor die Reihe der Zuhörer und gaben ihre Träume zum Besten. Die Stimmung stieg wieder. Es wurde sogar gelacht. Für die Kinder aus Irente waren die Träume der weißen Kinder aus Deutschland natürlich besonders interessant. Julia erzählte zum Beispiel: "Ich träumte, mein Hund würde während des Ausflugs meinen schweren Rucksack tragen!" Stephanie sprach: "Mir träumte, ich ritt auf meinem Füllfederhalter wie auf einer Riesenzigarre durch das Vogelparadies." Sara berichtete, sie sei auf ihrem aufgeklappten Schreibheft wie auf einem Segelflugzeug durch die Lüfte geschwebt. Vanessa hatte geträumt, sie wäre von einem Dinosaurier ausgespuckt worden und in hohem Bogen in einem Brennnesselfeld gelandet. Die andere Julia tat kund, sie hätte 35 Kaninchen unter beiden Armen getragen und hätte kaum noch ein Bein vor das andere setzen können. Tanja berichtete, sie hätte von einer Stereoanlage geträumt und so laut ins Mikrofon geschrieen, dass der Lautsprecher explodiert sei. Und so weiter und so weiter. Ihr kennt doch alle die Träume. Ihr wisst, sie stehen gleich vorne in dieser Geschichte. Alle Kinder gaben ihre Träume recht genau wieder. Es fehlten, wie verlangt, keine Einzelheiten. Damit hatten sie ja schon die Hälfte der Bedingungen zur Rettung der Kinder aus Irente erfüllt! Nun musste noch jeder der Klasse 3b einen grünen Zettel ausfüllen, auf dem aufzuschreiben war, worauf jeder bereit war zu verzichten. Aber, wie schon gesagt, es sollte ein echter Verzicht sein, ein kleines Opfer. Sonst würde sich der Zettel bereits beim Schreiben rot verfärben. Ein einziges rotes Stück Papier würde das gesamte Vorhaben zunichte machen. Nur grüne Zettel durften abgegeben werden. Sonst würden die Kinder aus Tansania bald wieder „schwarz“ sehen Butu teilte den Kindern je ein grünes Stück Umweltpapier mit einem Bleistift aus. Dann hockten sich alle Schreiber irgendwo hin, wo es nur eine nützliche Schreibunterlage gab, wie Baumstümpfe, große flache Steine oder einfach der festgetretene Waldboden. Es dauerte bisweilen recht lange, bis einige etwas aufs Papier gebracht hatten. Man konnte auch sehen, wie sich ein paar Zettel rot verfärbten. Da wollte zum Beispiel jemand auf seine Hausaufgaben verzichten. Damit kann man keine Blinden retten. Also ausradieren! Und schon erhielt das Papier wieder seine grüne Farbe zurück. Ein neuer Versuch. "Ich verzichte auf zwei Stunden Glotze pro Tag", stand nun darauf und der Zettel blieb grün. Auf was nicht alles verzichtet wurde! Auf Computerspiele, auf Stofftiere, auf Torte, auf ein neues Fahrrad, auf Reitstunden, auf teure Marken-Jeans, ja sogar auf den Sommerurlaub am Meer. Auch Herr Hoffmann musste einen Zettel beschriften. Er schrieb: "Morgen wollte ich mir ein neues Auto kaufen, nun verzichte ich darauf. Das alte läuft ja noch“. Ja, alle Zettel blieben grün. Die Kinder der 3 b hatten verstanden: Ein echter Verzicht muss wohl doch ein wenig wehtun. Wer nichts vom Reiten hält, kann leicht auf Reitstunden verzichten. Wem Musikmachen nichts bedeutet, verzichtet gerne auf Klavierunterricht oder Geigenstunden. Da! Ein Zettel verfärbte sich schlagartig rot! Da stand doch drauf: "Ich verzichte sofort auf das ewige Gemeckere meiner Schwester." Klar! Dieser Verzicht wäre ja wohl kein Opfer gewesen, im Gegenteil! Wer findet ewiges Gemeckere seiner Schwester schon toll und leidet darunter, wenn er dem entsagen muss? Selbst bei echten Ziegen kann einem das Gemeckere manchmal auf den Geist gehen, sogar einem Tierfreund. Der Text musste also geändert werden. Endlich war jeder fertig mit dem Schreiben und Herr Hoffmann sammelte nur grüne Zettel ein. "Ich glaube, ich habe gerade einen Regentropfen abbekommen“, rief Johanna. Alle schauten zum Himmel empor. Es sah wirklich ziemlich dunkel dort droben aus. "Wir müssen uns beeilen, damit wir nicht zu spät an der Schule eintreffen!" meinte Kathi, "unsere Eltern warten sonst vergeblich auf uns." Lehrer Butu nickte und sah freudvoll auf den Stapel grüner Blätter, den Herr Hoffmann wie ein kleines Buch beim Gehen hin- und herschwenkte. "Ihr habt für uns so viel getan!" sprach Butu voll innerer Bewegung. "Ich hoffe, wir werden unser Augenlicht jetzt nie mehr verlieren!" "Wir danken euch!" jubelten die Kleinen aus Tansania, "ihr Kinder aus Oedt und Mülhausen seid toll!" Sweta meinte: "Gleich, im Intercity "Zauberwald- Irente" werden wir uns an die Abteilfenster drängen und uns zum ersten Mal in unserem Leben die Landschaft aus einem fahrenden Zug ansehen können!" "Zug? Wo ist denn hier ein Bahnhof?" wollte Oliver wissen.
"Bahnhöfe gibt es überall, wo Menschen ankommen und sich begegnen und wo sie sich auch wieder trennen und verabschieden müssen“, erklärte Butu. "Und ein Zug ist ein Stück geschenkte Zeit, Lebenszeit, die uns zu unseren Wünschen und Erwartungen trägt, uns aber zugleich auch immer wieder von diesen wegführt“," fügte er noch hinzu.
"Versteh ich nicht“, warf Steffi ein. "Schau mal, Mädchen", fuhr Butu fort, "meine Kinder und ich kamen mit dem Zug von Tansania bis hierhin in den Zauberwald, weil wir uns erhofften, wieder ein paar Stunden sehen zu können, weil wir erwarteten, jemanden zu finden, der uns mag und weiterhilft. Zum Glück sind wir euch begegnet. Das war die Hinfahrt. Nun aber müssen wir uns von euch trennen. Wir sind traurig, weil wir euch wieder verlieren und euch nicht mehr um uns haben können. Was wir uns gewünscht haben und was wir erwarteten, geben wir nun wieder ab. Das ist die Rückfahrt. So meinte ich das ungefähr. Obwohl wir durch eure Mithilfe nun wieder zu den Menschen gehören, die sehen können, so ist die Rückfahrt für uns dennoch nicht so leicht wie ihr vielleicht denkt."
"Aber seid doch froh, dass ihr wieder sehen könnt!" meinte Kai fast schon etwas vorwurfsvoll, als wäre Herr Butu nicht dankbar genug. "Sind wir auch!" Aber ich weiß nicht, ob du das schon verstehst. Auch unsere gesundeten Augen lassen uns nicht immer das erkennen, was wirklich am Wichtigsten ist. Das sieht man nur mit dem Herzen. Das können Blinde und Sehende gleichermaßen - Blinde manchmal noch besser!“ Jeder ergriff die Hände seiner neuen Freunde und sprach gute Wünsche für die Zukunft aus, bedankte sich nochmals für alles und verabschiedete sich, fröhlich - und doch ein bisschen traurig. Der Bussard kreiste wieder unter einer dunklen Wolke, rüttelte und starrte dabei auf zwei sich tief unter ihm voneinander entfernende Menschentrauben. Damit wusste er nichts anzufangen, denn er hatte mal wieder nur Mäuse im Kopf. Also verschwand er, vom Winde angestoßen, bald im Nichts.
Die Klasse 3 b zog sich nun beim Gehen immer weiter auseinander. Einige Kinder waren inzwischen etwas müde geworden. "Kommt, Kinder!" rief der Klassenlehrer, "nicht trödeln, ich habe schon drei dicke Regentropfen abbekommen, wir müssen in Richtung Heimat zurück!" "Ich habe übrigens auf meinen neuen Rucksack mit dem großen Foto eines Fußballes verzichtet“, bemerkte Oliver. "Ich wollte erst auf Fußball verzichten“, meinte Ricky, "aber das wäre für mich zu schwer gewesen. Und so habe ich aufgeschrieben, dass ich in meinem Stadion auf eine normale Ecktribüne verzichte und diese für behinderte Menschen umbauen lasse." "Und ich verzichte auf Kaugummi mit Himbeergeschmack!" rief Bahar.
Die Anzahl der Regentropfen wuchs ständig. Die Kinder beeilten sich, schneller voranzukommen. Was war das? Je mehr es regnete, desto größer wurden die Schritte. Das Wandertempo nahm ständig zu. Die Sträucher, Baumstämme und Äste zu beiden Seiten des Weges huschten immer schneller an den Kindern vorbei. "Mensch, haben wir ein Tempo drauf!" jubelte Vanessa. "Wie schnell denn noch!" schimpfte Julia. Die Geschwindigkeit nahm weiter zu. Sie erreichte bald das Tempo eines Zuges. Ja, alle hatten auf einmal den Eindruck, in einen Zug verwandelt worden zu sein. Der Lehrer war die Lokomotive und jedes Kind stellte einen Waggon dar. Es sauste und brauste, ratterte und pfiff. Es rauschte, hämmerte, quietschte, donnerte und summte. Es knarrte und stöhnte, zischte und knisterte. In den Kurven der Waldwege kam ein Gefühl auf, als müsse die fliegende Kette aus Kindern zerreißen und zerspringen, auseinander purzeln und sich kreuz und quer überschlagen. Dabei regnete es immer heftiger. Dicke Regentropfen zersprangen wie gezuckerte Glaskügelchen auf den Blättern der Bäume. Ein greller Blitz fuhr ins Unterholz und mit ohrenbetäubendem Knall zog jemand die Notbremse. Ein fürchterliches Kreischen und Rumpeln war zu vernehmen, ein letzter gewaltiger Ruck nach vorn, ein allerletzter nach hinten. Dann stand der Zug.
Die Kinder schauten einander mit weit geöffneten Augen an. Was war das denn? Keine Bahn weit und breit. Nur hintereinander aufgereihte Kinder, völlig außer Atem. Der verschwundene Dennis war auch plötzlich wieder unter ihnen. Er hatte einen grünen Zettel in der Hand und sagte, er sei dem Waldgeist entwischt und auf den fahrenden Zug gesprungen. Das Wort „Scheiße“ würde er nie wieder aussprechen! Stefan meinte: „Das kommt ganz drauf an!“
Die Kinder stellten fest, dass sie vor einem gewaltigen Torbogen aus dichtem Laub standen. Hindurch lugten dünnstämmige Bäume und zarte Sträucher. Na klar, das war der Eingang zum Zauberwald. Durch ihn waren sie vor vielen Stunden in den Wald marschiert. Kein Tor, keine Tür, nur ein großer Bogen aus Holz und Blättern. Dahinter ein dichter Wald mit großen alten Bäumen, durch deren Laubwerk kaum noch Licht hindurch drang. Er hielt den Regen ab, der in den Baumkronen mächtig rauschte. Dort befand sich ja auch das kleine Häuschen an der Seite, aus Holzbalken und Teerpappe mit einem kleinen Fenster zur Vorderseite hin. Das Schild, das Simon entdeckt hatte, war immer noch da. "Eintrittsgelder erst nach dem Besuch des Zauberwaldes entrichten", stand darauf. Hoffmann griff nach seiner Geldbörse. In diesem Augenblick trat jemand aus dem Häuschen heraus, ein Mann mit einer dicken Zigarre im Mund, fettigen Haaren und einer viel zu langen Nase. "Im Wald wird nicht geraucht!" rief Heiko. Da nahm der Mann mit der langen Nase und den ebenfalls viel zu langen Hosenbeinen, die den Blick auf die Schuhe kaum freigaben, seine Zigarre aus dem Mund, klemmte sie zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand und steckte sie danach in seine rechte Brusttasche. "Was müssen wir bezahlen?" fragte der Klassenlehrer und hielt ihm einen 50 DM-Schein entgegen. "Wir nehmen diesmal kein Geld“, erwiderte der Mann lässig und stopfte beide Hände in die Hosentaschen. "Wir nehmen heute nur rote oder grüne Zettel vom Kraftprotz, dem Waldgeist. Wer keinen hat, muss sich noch einen besorgen, sonst nimmt ihn der Waldprotz mit in seine Höhle. Dort muss der Betreffende den Zettel abarbeiten. Das kann Jahre dauern. Arme vermisste Kinder!" "Was heißt hier "vermisste Kinder", rief der Klassenlehrer und winkte mit dem Päckchen seiner Zettel. "Her damit“, murmelte der Lässige mit der Nase und der qualmenden Zigarre in seiner rechten Brusttasche. Herr Hoffmann übergab den Block. "Sind ja alles grüne Zettel!" bemerkten die langen Hosenbeine so nebenbei. "Grün ist auch besser als rot. Die roten bringen wenig Glück, habe ich gehört. Ob' s stimmt, weiß ich nicht. Nicht zu rauchen soll auch besser sein als doch zu rauchen," und dabei schlug er mehrmals mit seiner linken Faust auf seine rechte Brusttasche, in der sich ein Schwelbrand auszubreiten begann. "Besser, deine Jacke brennt als der Wald“, bemerkte Dennis, "hast ja selber schuld." "Das kitzelt sicher schön auf der Brust!" rief Stefan dazwischen. "Halt du dich daraus!" sagte die lange Nase giftig. "Kommt, Kinder! Jetzt wird es aber Zeit. Es regnet schon stark in die Baumkronen hinein. Noch halten sie den Regen ab, aber eure Eltern warten sicher schon am Schuleingang. Wir dürfen jetzt nicht mehr trödeln, sonst machen sie sich Sorgen um euch“, sagte der Klassenlehrer. "Auf Wiedersehen, Herr ...?". "Zettelmeier!" "Tschüss, Herr Zettelmeier!" riefen die Kinder und guckten sich noch mehrmals um, weil sie den aktuellsten Stand von Zettelmeiers Brusttaschenfeuer noch mitkriegen wollten.
Inzwischen hatte die Nacht ihr schwarzes Tuch über Felder und Wälder ausgebreitet. Vor der Schule standen die Eltern und warteten auf ihre Kinder. Es klopfte und prasselte auf ihre Regenschirme. Die Kinder mussten eigentlich schon längst zurück sein. Schon vor einer Stunde waren die ersten Regentropfen vom Himmel gefallen. Einige Mütter und Väter hatten sich sogleich auf den Weg zur Schule gemacht und auch der Bus war gestartet. Doch dann plötzlich waren in der Ferne Kinderstimmen zu hören. "Unsere Kinder sind da!" verbreitete es sich wie ein Lauffeuer.
Da waren sie! Alle wohlbehalten und glücklich. "Ihr ward aber lange unterwegs“, sagte jemand. "Ihr seid jetzt schon seit einigen Wochen im 4. Schuljahr! Herzlichen Glückwunsch!" Die Kinder hatten das gar nicht bemerkt, dass die Zeit so schnell verflogen war. Alle wunderten sich, nun bereits im 4. Schuljahr zu sein. "Das finde ich total gut!" meinte Franziska, "im 3. Schuljahr gehen wir los und im 4. Schuljahr kehren wir von unserem Ausflug zurück!" Um ihre Kinder hatten sich die Eltern auch in dieser langen Zeit keine Sorgen zu machen brauchen, denn sie wussten ja, erst müsste es anfangen zu regnen, bis sie zurückkämen. Und Hoffi hielt sein Versprechen, dass wussten sie. So war alles gut, und die Kinder, die nicht gleich in die Arme ihrer Eltern fielen, wurden gestreichelt und liebkost. Die lange Zeit in den Familien ohne Kinder war nun endlich vorbei, und jeder hatte inzwischen sein Kind noch mehr zu schätzen gelernt als vor dem „totalen“ Ausflug. Mit guten Gefühlen setzten sich alle in Bewegung, eilten zu den Parkplätzen, zum Schulbus oder machten sich sonst irgendwie auf den Heimweg, zu Fuß oder mit den Fahrrädern. Der Regen hatte ganz plötzlich aufgehört. Der Himmel klarte auf und zeigte pechschwarz seine ganze Tiefe. Es funkelte und glitzerte über den Köpfen der Kinder und Erwachsenen. Die Sterne entfalteten ihre ganze Pracht, so dass fast jeder unwillkürlich seinen Blick nach oben zum Himmel erhob. Ein tiefes Schweigen senkte sich auf die Erde und erstickte dort fast jeden Laut.
Da, auf einmal, fielen die Sterne herab, Tausende und Abertausende schwebten herunter wie silberne oder goldene Münzen, glitzerten und blinkten in der klaren Luft des Abends, bevor sie mit klingendem Aufschlag, mit kullernden und tanzenden Bewegungen auf Steinen und schwarzem Asphalt ausrollten und dort endlich zur Ruhe kamen.
Eltern und Kinder bückten sich danach, suchten und sammelten sie auf. Das war ein munteres Treiben auf Wegen, Straßen und in den Vorgärten. Ein jeder stopfte sich seine Taschen voll, und zu Hause gab es genug zu tun, das viele Geld zu zählen. -
Am nächsten Tag schrieben die Kinder der Klasse 4 b sogleich einen Brief an die Kinder in Tansania. Sie erzählten darin, wie es ihnen nach ihrem Abschied von ihnen im Zauberwald ergangen war. Vor allem berichteten sie vom Ereignis mit den Sterntalern mit totaler Begeisterung.
Nach einem Monat kam eine Antwort aus Irente. Die lieben kleinen Freunde aus Afrika bedankten sich nochmals recht herzlich und erzählten, dass sie nun die Blindenschule verlassen hätten und in ganz normalen Schulen angemeldet worden seien. Sie hätten nun die gleichen Aussichten, einen Beruf zu erlernen wie alle anderen Menschen mit Augenlicht. Sie bedankten sich besonders herzlich für die riesige Geldspende. So viele Silber- und Goldtaler hätten sie noch nie auf einem Haufen gesehen! Und dann noch etwas: Ihr Zug sei während der Rückfahrt so schnell davongebraust, dass alle Angst um ihr Leben gehabt hätten. Aber es wäre toll gewesen, dabei aus den Abteilfenstern zu blicken und die vorbeihuschenden Gegenstände zu betrachten. "Ein ganz tolles Erlebnis!" schrieb Bongo. Und noch etwas stand im Brief der Kinder aus Irente:
"Wir danken euch zum Schluss nochmals für das viele Geld. Wir können es sehr gut für unsere armen Familien gebrauchen. Aber, dass die Münzen vom Himmel gefallen sind, während ihr auf dem Rückweg nach Hause ward, das ist ja wohl ein ziemlich merkwürdiger Scherz!"
Die Kinder der 4b, ziemlich ratlos, was sie darauf antworten sollten, sahen ihren Hoffi so an, als erwarteten sie dringend ein weiterhelfendes Wort von ihm. Dann sprach er endlich: "Kinder, man sieht eigentlich nie, was wirklich ist, sondern das, was für einen selbst große Bedeutung hat. Und das sieht man meist nur mit dem Herzen".
"Derartiges haben Sie uns doch schon mehrmals gesagt“, meinte Simon, "ich glaube, als wir uns ihr Gesicht in der Sonnenscheibe eingebildet haben!" "Und als wir meinten, die Tobi- Familie im Zauberwald wieder zu finden!" fügte Johanna noch hinzu. „Eingebildet? Wenn ihr meint. Okay.
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